Shinken shōbu 真剣勝負

Als sich die wilde Zeit der Samurai  dem Ende entgegen neigte und zudem noch nach dem 2. Weltkrieg das Tragen von Waffen und das Üben der tödlichen Kampfkünste von den USA verboten wurde, sahen sich die Samurai in einer echten Bredouille. Erst 1951 wurde das Verbot aufgehoben. Im folgenden Jahr, 1952, wurde die All Japan Kendō Federation gegründet. Bei der Zusammanfassung der verschiedenen Kampfkünste trat ein Problem auf. Da die Mitglieder des ZNKR alle aus verschiedenen Schulen (Koryu) stammten, unterschieden sich ihre Übungen teilweise drastisch. Es bestand die Notwendigkeit einer gemeinsamen Basis als Übungsgrundlage zum Zwecke der Fairness und Vergleichbarkeit. 1969 wurden Abwandlungen der Koryu-Kata der 5 großen Schulen (Musō Jikiden Eishin Ryu, Mugai Ryu, Shindō-Munen-Ryu, Suiō-Ryu und Hoki-Ryu) als Übungsform zugrunde gelegt, die bis zum heutigen Tage auf 12 Kata (Seitei-gata)erweitert worden sind. Dieses Set an Kata ist mittlerweile die global weit verbreitetste Iaidō

-Übungsform.

 

Im historischen Kontext der traditionellen japanischen Schwertkunst mussten die Übenden allerdings davon ausgehen, dass es eine Zeit geben würde, in der sie direkt mit Leben und Tod konfrontiert werden würden. Ohne dieses Mindset ist eine ernsthafte Übung nutzlos. Und sie verstanden, dass der einzige Weg, damit richtig umzugehen, darin besteht, es zu praktizieren. In dieser Hinsicht ist das Ziel des Übens, eine Angelegenheit von Leben und Tod im ernsthaften Stil (Shinkengata) zu erfahren, und es gibt keinen anderen Weg, als sich auf einen sich wiederholenden Kata-Trainingsprozess zu verlassen, der Uchidachi und Shidachi beinhaltet. Das ist die primäre Methode der klassischen japanischen Schwertkunst (Koryū Kenjutsu). Will heißen: Partnerübungen sind existenzielle Grundlage vieler Trainingsaufgaben. Timing, Maai, Technik, Kiseme, Metsuke…

 

Es ist leicht zu glauben, dass der Zweck des Kata-Trainings nur eine Frage des Gewinnens oder Verlierens ist oder nur das Streben nach Gewinnen in Bezug auf Leben und Tod. Einige mögen auch denken, dass das Kata-Training selbst nur eine Frage des Erlernens und Erinnerns der Kata ist. Missverständnisse wie diese begleiten oft den Gedanken, dass eine größere Anzahl von gelernten Kata besser ist als eine kleinere Anzahl. Aber das bedeutet auch, dass der Mächtige immer den weniger Mächtigen in der Schwertkunst besiegt, der höhere Grad oder das Mokuroku immer den niedrigeren schlagen wird und dass die Verwendung von zwei Schwertern immer ein einzelnes Schwert besiegen wird. Es gibt jedoch eine gewisse Wahrheit in Bezug auf den realen Kampf auf Leben und Tod zwischen Gegnern, und das heißt, es gibt keine Garantien und keine Regeln.

Ein weiteres Missverständnis ist oft, dass es darum geht zu lernen, mit den relevanten Techniken 
zu gewinnen, die innerhalb der Kata gelehrt werden, und dabei großen Wert darauf zu legen,
welche Kata der Schule die meisten Techniken oder die ultimativen "geheimen" Techniken hat.
Aber egal wie viele Techniken man in der Praxis gelernt hat oder wie viele Kata den Schülern
beigebracht wurden, es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass es immer noch keine Garantie
gibt, dass Sie in einem echten Kampf auf Leben und Tod überleben würden. Mit diesen Gedanken muss man sich befassen, wenn man zum
Schwert greift.
Noch heute erinnern uns einige japanische Shihan an das Axiom, dass es immer jemanden geben wird, der geschickter ist als als man selbst. 
Quaigon Jin beschriebt dies treffend mit: „In jedem Tümpel gibt es immer einen noch größeren Fisch!“. Daher hat die Anzahl der gelernten
Kata, ob groß oder klein, aus der Perspektive des Siegens im Shinken-Shōbu wenig Bedeutung. Außerdem gibt es keine „geheimen“
Techniken, die das Überleben im Kampf sichern, nur weil man sie gelernt und geübt hat.
Denke immer daran: Dein Sensei hat dir alles beigebracht, was du weißt. 
Aber nicht alles, was ER weiß!
Japanisches Sprichwort
 
Unter so ernsten Umständen wie einem Kampf auf Leben und Tod ist es 
möglicherweise nicht einmal möglich, das anzuwenden, was die Schüler geübt und
gelernt haben, da es im Shinken-Shōbu keine Regeln gibt. Vielmehr sollten wir von
denen lernen, die diesen schmalen Grat zwischen Leben und Tod erfolgreich
überschritten haben – die alten Schwertheiligen (Kensei) – die uns ermahnen, durch Kata-Training der ultimativen Lehre (Gokui)
nachzugehen: immer flexibel, spontan und ohne Angst zu sein. Was lernen wir also letztendlich durch das Üben der Kata?
Aus der Perspektive der Kata im Trainingsprozess entwickelst du dich durch das Üben der Kata und nicht durch die Kata selbst. 
Shinken sh
ōbu sollte als letzte Form eines Sets gewählt werden, um dem Praktizierenden die Möglichkeit zu geben, Ernsthaftigkeit und
Siegeswille glaubhaft kundzutun. Denn wir wissen, dass wir die Dinge ohne Form (Mukei), wie Bu-no-Seishin, nur durch Dinge mit Form
oder Form erlangen können. In der alten Methode, die Techniken innerhalb der Kata zu lernen, wird durch den ernsthaften Stil des
Partnertrainings auch gelehrt, dass das Letzte, was man lernen muss, nicht die eigentlichen Techniken oder Prinzipien selbst sind, dass es
immer etwas Höheres als das gibt.
Deshalb müssen wir üben, unsere Bewegungen und unseren Geist zu schulen, und unsere Haltung gegenüber den Kata ernst zu nehmen, 
als ob wir auf der Schwelle von Leben und Tod stehen würden. Nur dann können wir an dem Punkt ankommen, an dem wir keinen
Zweifel daran haben, dass das, was durch die Kata erlangt werden muss, nicht nur die Fähigkeiten und der Mut sind, dem Tod ins Gesicht
zu sehen, sondern auch der Seishin-Aspekt von Shinken-Shōbu.
Das Älterwerden ist unvermeidlich und das Leben ist eine Herausforderung gegen das Altern eines jeden Menschen, und letztendlich ist es 
Shinken-Shōbu mit sich selbst. Am Ende, egal wie lange wir leben, werden wir alle mit dieser Unausweichlichkeit konfrontiert. Man könnte
sagen, dass wir durch die Kata versuchen, dem Tod immer ins Auge zu sehen, zu lernen, wie man in Würde stirbt, und uns als Teil dieses
Prozesses als Mensch im Leben und in der Gesellschaft zu entwickeln (Ningen Keisei). Mit anderen Worten, Seishin (*) ist etwas, das sich
jeder von uns selbst aneignen sollte, und es kann nicht direkt gelehrt werden. Letztendlich hängt das, was man durch das Kata-Training
lernt und erwirbt, von seinen eigenen Absichten und Denkweisen, Zweifeln und den wichtigen Fragen ab, die man sich selbst stellen
möchte. Zur Erinnerung:
Shinken-Shōbu (真剣勝負) ist ein Kampf auf Leben und Tod. Auch ohne realen Gegner!
(*) Seishin Chokudō (誠心直道) – ein einfacher, aber bedeutungsvoller Satz, der eng mit den Lehren von Miyamoto Musashi verbunden ist und ein Favorit 
des Niten Ichi-ryū-Lehrers Iwami Toshio sōke. Es bedeutet einen „aufrichtigen Geist“ und einen „geraden Weg“.